Erfahrungsbericht 2014
Erste Brigade zur Behandlung von anorektalen Malformationen in Honduras
Ein Erfahrungsbericht von Dr. Wilfried Krois und Dr. Carlos Albert Reck
Juan setzt seinen Schwerpunkt vor allem auf anorektale Fehlbildungen. Wieso gerade diese in den ärmsten Ländern der Welt gehäuft auftreten, bleibt weiterhin ungeklärt. Mangelernährung spielt sicher die größte Rolle. Während der Fahrt vom Flughafen ins Hotel schwärmt Juan bereits von seiner Vision mit Unterstützung der „Fundación Ruth Paz“ die „Fundación MAR.“ zu gründen. „’MAR – malformaciones anorectales’ sounds soft and reminds of „mar“ – the sea; much better than ARM“, sagt er. (Anm.: anorectal malformations). „Armed“ sind hier die meisten Leute – noch während der Fahrt werden wir über die Verhaltensregeln in San Pedro Sula aufgeklärt. Bereits im Vorfeld haben wir über die hohe Kriminalität gelesen, laut Wikipedia gilt Honduras als eines der unsichersten Ländern der Welt und hält weltweit mit Abstand die höchste Zahl an Tötungsdelikten pro Einwohner (91,6 pro 100.000; Vergleich Deutschland: 0,8 pro 100.000). Juan erzählt uns von der hohen Armut im Land und der dramatischen Zunahme der Kriminalität in den letzten 10 bis 15 Jahren. Honduras entwickelte sich zu einem der größten Drogenumschlagsplätze der Welt. Die meisten der verzweifelten arbeitslosen Jugendlichen schließen sich den entstandenen Jugendbanden wie „Barrio 18“ oder „Mara salvatrucha“ an und terrorisieren ganze Regionen. Die Regierung und Armee versucht gegen diese Banden vorzugehen in dem bereits die Mitgliedschaft mit hohen Freiheitsstrafen versehen ist. Dennoch überschlagen sich in den Zeitungen die Meldungen von Gewaltverbrechen auf der Straße. Die Anspannung, vor allem in den Städten ist sehr groß, erzählt uns Juan. Die Leute sind größtenteils bewaffnet und Auseinandersetzungen, auch aufgrund von Belanglosigkeiten, enden oft im Schusswaffengebrauch. Juan legt uns Nahe, nicht alleine auf offener Straße zu spazieren, keine Wertsachen offen zu zeigen, bei Einbruch der Dunkelheit im Hotel zu bleiben oder nur sichere Orte aufzusuchen, jeglichen Diskussionen aus dem Weg zu gehen und im Falle von Überfällen ohne zu zögern alles auszuhändigen was wir bei uns tragen. Mit etwas mulmigem Gefühl beziehen wir unser Hotel, welches als eines der sichersten der Stadt San Pedro Sula gilt und sind doch bald froh mit unserem Jetlag (8 Stunden Zeitverschiebung zu Wien) nach einem guten Essen und Kennenlernen zweier weiterer Kollegen, welche aus Boston und San Francisco ebenfalls zu dieser Mission angereist sind, ins Bett zu fallen.
Den Sonntag beginnen wir damit im „Hospital Ruth Paz“ Patienten anzusehen welche Dr. Juan Craniotis, der Leiter dieser ersten Brigade zur Behandlung von anorektalen Malformationen, ausgewählt hat und welche er vorab gemeinsam besprechen möchte. Das „Hospital Ruth Paz“ ist eine durch Spendengeldern gegründete Privatklinik für Kinder und war
früher auch als Kinder-Verbrennungsklinik gedacht, welche jedoch aufgrund nicht erfolgter Förderzahlungen durch die Regierung diesen Betrieb nicht aufnehmen konnte. Jetzt finden vorwiegend sogenannte Brigaden, welche von der „Fundacion Ruth Paz“ organisiert werden statt. Es werden Kinder mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, Klumpfüßen oder auch Herzfehlern behandelt. Für die Organisation dieser Brigaden ist Peggy im Hintergrund mit ihren ganzen Bemühungen voll im Einsatz. Wir sehen mehr als 20 einbestellte Kinder im Alter von 1 Monat bis hin zu 14 Jahren – alle weisen Erkrankungen wie Morbus Hirschsprung oder diverse Formen von Analatresie und Kloaken auf. Untersuchungsbefunde gibt es nur spärlich, fast alle Kinder haben eine Kolostomie. Kontrastmitteldarstellungen, Ultraschall und Pathologiebefunde sind nicht bei allen Kindern vorhanden, zu kostenintensiv sind diese Untersuchungen für die meisten Familien. Die Kolostomie ist für die Kinder mit diesen Fehlbildungen zwar eine gute Möglichkeit diese Erkrankungen zu überleben, jedoch bezahlen Sie mit einer deutlich eingeschränkten Lebensqualität. Beispielsweise können sich nur reichere Familien Stomabeutel leisten, die meisten werden mit Windeln und Tücher um den Bauch versorgt und das wohl größte Problem ist, dass diese Kinder nicht in die Schule gehen dürfen, da ihnen die Aufnahme mit einem künstlichen Darmausgang verweigert wird.
Im Anschluss zeigt uns Juan noch das öffentliche Krankenhaus. Wir betreten die Kindernotaufnahme, dessen Türen von bewaffneten Securities bewacht werden. Unzählige Kinder gemeinsam mit Angehörigen in einem baufälligen Gebäude, ein Erstversorgungsbett neben dem
anderen, ein Lärmpegel den man keinem kranken Menschen zumuten möchte, die stehende feuchte Hitze und ein beißender Geruch in der Nase zeichnet ein Bild welches mit den europäischen Standards in keinster Weise vergleichbar erscheint. Neu- und Frühgeborene liegen in einer NICU direkt im Anschluss – eine eigene Schwester pro Kind gibt es hier nicht, teilweise liegen mehrere Kinder in einem kleinen Wagen, ohne Monitoring. Die Mortalität gerade auch bei kinderchirurgischen Erkrankungen ist extrem hoch. Patienten mit Gastroschisis beispielsweise werden zwar chirurgisch therapiert, jedoch fehlt das Geld für eine parenterale Ernährung. Kinder müssen zwangsläufig frühzeitig trotz Paralyse oral ernährt werden, mehr als 90% der Kinder überleben dieses Vorgehen jedoch nicht. Wir sehen noch ein Neugeborenes mit Ösophagusatresie welches in den nächsten Tagen hier im öffentlichen Krankenhaus operiert werden soll. Neun von Zehn dieser Patienten versterben hier jedoch an postoperativen Infektionen. Die Warteliste von elektiven kinderchirurgischen Eingriffen umfasst derzeit in etwa 900 Patienten, die Aussicht darauf in den nächsten sechs Monaten beispielsweise eine Bruchsackligatur einer Leistenhernie zu erhalten ist für die meisten nicht privat versicherten Patienten hier äußerst gering.
Wir beginnen den Montag früh, bereits um 7 kommen wir in das Krankenhaus. Für diesen Tag haben wir insgesamt 5 Kinder mit Morbus Hirschsprung am OP-Programm. Wir schaffen bis 7 Uhr abends jedoch nur 4 Soave-Durchzugsoperationen. Einen Patienten müssen wir auf Freitag verschieben. Insgesamt stehen uns zwei Operationssäle mit jeweils zwei OP-Tischen zur Verfügung. Wir operieren an diesem ersten Tag nur in einem Saal, jedoch an zwei Tischen gleichzeitig. Das üblicherweise in Honduras angewandte Verfahren ist den oralen Stomaschenkel im Sinne eines Soave-Durchzugs anorektal zu anastomosieren. Intraoperative Schnellschnitte zur Ermittlung des gesunden Darmes beziegunsweise einer Transitionszone gibt es nicht. „If the stoma is working, we pull it down.“ erklärt uns Juan sein Vorgehen. Dr. Wolfgang Stehr, Leiter der Kinderchirurgie im Oakland’s Children Hospital, San Francisco, übernimmt als der wohl erfahrenste Kinderchirurg die Rolle des Koordinators und steht den OP-Teams jeweils mit Tipps und einer helfenden Hand zur Seite. Wolfgang hat seine Ausbildung in der anorektalen Kinderchirurgie bei Professor Alberto Pena in Cincinnati absolviert und besitzt einen breiten Erfahrungsschatz. Seine Art zu erklären, seine Ruhe und Sicherheit und seine Faszination sein Wissen an Kollegen weiterzugeben, sie zu ermutigen und bei Problemen zur Seite zu stehen war für uns wohl eines der wertvollsten Geschenke dieser Mission.
Während der nächsten Tage sind wir teilweise mehr als 12 Stunden täglich im OP. Wir operieren viele Formen von Analatresien, teilweise 6 bis 8 PSARP-Operationen (Anm: PSARP = „posterior-sagittale Anorektoplastik“) pro Tag. Am beeindruckensten waren wohl der Fall eines 6 Monate alten Knaben
mit einer vermeintlichen hohen Form einer Analatresie. Kontastmitteldarstellung des aboralen Stomaschenkels gab es nicht, das aborale Stoma war stenosiert und nicht mehr sondierbar. Während der PSARP lässt sich kein Rektum und keine Fistel darstellen, sodass wir dazu übergehen via Laparotomie die Situation zu explorieren. Überraschenderweise lassen sich weder ein abführender Stomaschenkel noch ein distales Colon oder Rektum darstellen. Wie der Situs bei Anlage der Colostomie ausgesehen hat lässt sich nicht nachvollziehen, denn Operationsberichte sind (falls überhaupt vorhanden) relativ wenig informativ. Bei einer zweiten 2 Jahre alten Patientin mit Analatresie mit vestibulärer Fistel zeigt sich intraoperativ eine septierte Vagina und ein scheinbar Blind endender Fistelgang. Hinter dem blinden Ende kommt erst nach genauer präpartion der Schichten ein dahinter liegendes Rektum zum Vorschein. Ob es sich hier um eine Form einer Rektum-Duplikatur gehandelt haben könnte, ist derzeit noch unklar in diesem Fall haben wir jedoch aus Interesse die Proben zur histopathologischen Aufarbeitung geschickt.
Der Fall einer bereits im Vorfeld operierten Patientin welche Harn über eine rektale Öffnung entleert und sich über eine anterior der Vagina liegenden Fistel das Rektum sondieren lässt gibt immer noch Rätsel über die Art des stattgefundenen operativen Eingriffes auf. Wie uns Juan erzählt gibt es in Honduras noch einige Kinderchirurgen die nichts von publizierten und erfolgreichen Techniken der Korrektur von Analatresien halten und eigene Operationsmethoden praktizieren, selten zum Vorteil der kleinen Patienten.
Mit der ersten Brigade zur Korrektur von anorektalen Erkrankungen hat Dr. Juan Craniotis den ersten Schritt zu einer „Fundacion MAR“ getätigt. In dieser Woche haben wir gemeinsam insgesamt 35 Patienten operiert, wohlwissend dass diese Patienten auch weiterhin ein follow-up erhalten und von Dr. Craniotis betreut werden. Sowohl im Umgang mit den Patienten als auch mit Kollegen merkt man, dass Dr. Craniotis wahre Empathie zeigt und mit ganzer Kraft um seine Patienten bemüht ist und versucht die beste Betreuung für Kinder mit dieser Fehlbildung in seinem Land zur Verfügung zu stellen.
Für uns war diese Mission sowohl in menschlicher Hinsicht als auch in der Erfahrung, bei diesen Operationen mitzuwirken, die Tipps und Techniken von Dr. Stehr und Dr. Craniotis zu sammeln von ungemein wichtiger Bedeutung.
Auch wenn uns am Ende der Mission bewusst wurde, dass auch wenn alle Operationen gut laufen es nicht in unserer Macht steht den postoperativen Verlauf zu beeinflussen. Am gemeinsamen letzten Abend an dem wir uns als bereits gefestigtes und gut funktionierenden Team zusammenfinden und in bester Laune das Erlebte Revue passieren lassen bekommen wir den Anruf, dass der letzte Patient, ein 7 jähriger Knabe wenige Stunden nach seiner Soave-Operation verstorben ist. Die Umstände sind unklar, ein postoperatives Monitoring gab es nicht, jegliche Bemühungen den Knaben wiederzubeleben schlugen fehl. Leider verlassen wir Honduras mit gemischten Gefühlen, denn in unserer Vorstellung darf niemand nach dem er sieben Jahre lang mit Morbus Hirschsprung gelebt hat an dieser Erkrankung sterben, nicht einmal in einem Land wie Honduras.
Wir glauben aber an die Hilfe die geleistet werden kann, wenn Experten Ihre Zeit für solche Aktionen spenden und vor allem wenn diese durch die Ressourcen von hilfsbereiten Menschen unterstützt werden. Wichtig ist uns dabei, dass die betroffenen Patienten und deren Familien vor Ort von kompetenten Ärzten, wie Juan mit seiner unermüdlichen Energie, betreut werden und somit im Rahmen des Möglichen die beste prä- und post-operative Betreuung erhalten. Anorektale Malformationen sind ein wenig bekanntes, doch für die Betroffenen sehr einschränkendes Krankheitsbild bei diesem, vor allem in Entwicklungsländern, noch viel der dringend notwendigen Unterstützung geleistet werden kann.
Beteiligte & Informationen
First Brigade „Correction of anorectal Malformations“ – Fundacion Ruth Paz
3.10.2014 – 10.10.2014
Medizinische Leitung: Dr. Juan Carlos Cranotis (San Pedro Sula, Honduras)Organisation: Peggy
Dr. Wolfgang Stehr (Oakland’s Children Hospital, San Francisco, USA)
Dr. Sergio Velez (Tegucigalpa, Honduras)
Dr. Elmer Herrera (San Pedro Sula, Honduras)
Dr. Sigrid Bairdain (Boston Children’s Hospital, Chicago, USA)
Dr. Carlos Reck (Medizinsiche Universität Wien, Österreich)
Dr. Wilfried Krois (Medizinsiche Universität Wien, Österreich)
Spendenkonto
HELPING HANDS FOR ANORECTAL MALFORMATIONS
IBAN: AT89 2011 1826 8970 0500
BIC: GIBAATWWXXX
Institute: Erste Bank
Tags: honduras , san pedro sula